Archivmaterial

  • 11. Oktober 2021
Archivmaterial
Beim Dreh mit dem Fotografen Beat Presser. Im Bild: Helke Sander, Claudia Richarz, Manja Ebert | © DANIT
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Aus: black box 298, September 2021
Über das Arbeiten mit Fernseh-Archivmaterial
Ein Gespräch mit der Regisseurin Claudia Richarz über ihre Erfahrungen bei der Finanzierung eines Dokumentarfilms mit Archivmaterial des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

Ellen Wietstock:
Momentan bereitest Du einen Film über die Regisseurin und Autorin Helke Sander vor. Ein Dokumentarfilmprojekt über eine der wichtigsten feministischen Filmemacherinnen müsste doch auf großes Interesse bei Fördergremien und Sendern stoßen. Welche Erfahrungen hast Du bei der Finanzierung des Projekts gemacht?
Claudia Richarz:
Seit 2016 bemühe ich mich um eine Finanzierung des Films. Zuerst mit Carl-Ludwig Rettinger (Lichtblick Film) und später mit Meike Martens (Blinker Film) als Produzent:in. Helke Sander initiierte die neue deutsche Frauenbewegung 1968 aus der Student:innenbewegung heraus, die sich 2018 jährte und mit vielen Filmen gewürdigt wurde. Anlässlich dieses Jubiläums boten Carl-Ludwig Rettinger und ich zum ersten Mal das Projekt bei verschiedenen Sendern an, reüssierten aber nicht.
2017 gelang es mit Meike Martens, Stoffentwicklungsförderung von der BKM zu erhalten, was wunderbar war. Ich konnte gründlich recherchieren, mir in den Sendeanstalten kostenpflichtige Sichtungsfiles bestellen, um einen Überblick über das vorhandene Archivmaterial zu bekommen, und einen Probedreh finanzieren. Bei der Produktionsförderung sind wir bei der BKM jedoch zweimal gescheitert. Schließlich habe ich das Budget komplett heruntergefahren (u.a. auch durch viele Rückstellungen) und produziere aus finanziellen Gründen selbst. Ich habe das Treatment zum xten Mal umgearbeitet und konnte 2020 bei der Filmstiftung im kleinen Gremium und bei der Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein Produktionsförderung erhalten. Ohne die großzügige Unterstützung von Freund:innen und Kolleg:innen aus der Branche, die mich immer mal wieder ohne Bezahlung konkret beraten haben, wäre mir das nicht gelungen.
E. W.:
Mit welchen Argumenten wurde „Das Private bleibt politisch“ (AT) abgelehnt?
Richarz:
„Wir machen keine Porträtfilme.“ „In Frankreich kennt sie keiner.“ „Wir haben zu viele andere interessante Projekte vorliegen.“ „Über die Frauenbewegung haben wir schon einen Film gemacht.“ Die letzte Begründung ist besonders schlecht nachvollziehbar angesichts des soundsovielten Films über Rudi Dutschke, um bei der Student:innenbewegung zu bleiben. Zweimal hieß es, ich solle einen Film über den Feminismus allgemein machen und nicht nur über Helke Sander. Dabei steht Helke Sander für alle wichtigen Themen der Frauenbewegung, die heute noch virulent sind. Ich solle mein Treatment entsprechend umarbeiten, dann wären meine Chancen größer. Das habe ich nicht geglaubt und deshalb nicht gemacht.
Wir haben seit 2016 immer wieder verschiedene Redaktionen angesprochen und sind zweimal auf großes Interesse gestoßen, es scheiterte aber jeweils an einer Kooperation mit Arte. Es gibt natürlich auch Redaktionen, die nicht antworten. Das kennen wir in der Dokumentarfilmbranche wohl alle. Man schickt Ideen hin und erhält nie eine Antwort, auch bei mehrmaligen Nachfragen nicht.
E. W.:
Einen Film über und mit Helke Sander zu machen, heißt auch, mit Dokumenten der Zeitgeschichte, Filmausschnitten etc. zu arbeiten. Welche Probleme tauchten bei der Beschaffung des Materials aus Fernseharchiven auf?
Richarz:
Helke Sander war in ihren Spiel- und Dokumentarfilmen von Anfang an oft selbst vor der Kamera. So kann ich ihr Leben auch mit diesem Material erzählen. Dazu kommt noch zeitgeschichtliches Material. Die Preise für Archivmaterial sind hoch und unterschiedlich. Ein breiter Rechteumfang ist für mich nicht finanzierbar, deshalb habe mich auf DACH, Kino (und nur teilweise TV), VoD, DVD und Festivals weltweit eingegrenzt, was auch relativ realistisch für mein zu erwartendes Publikum ist. Mittlerweile habe ich mit verschiedenen Sendeanstalten Preise ab1000 Euro/Min. (geringster Preis) bis 3.300 Euro pro angefangene Minute (mit und ohne zeitliche Begrenzung) ausgehandelt. Dazu kommen jeweils (akzeptable) Bearbeitungsgebühren. 3.300 Euro/Min. pro angefangene Minute (bei Begrenzung auf 10 Jahre) kann ich nicht bezahlen. Da gibt es wertvolles Material, das leider in meinem Film fehlen wird. Für mich ist es wertvoll, ansonsten wird aus diesem Film aus den 70er Jahren sicherlich kein anderer Mensch jemals noch einmal etwas ankaufen wollen. Ein ARD-Sender reduziert seinen Minutenpreis (4.000 Euro erste Minute) um 50%, wenn ich keine TV-Rechte lizenziere, während ein anderer ARD-Sender mit und ohne TV-Rechte denselben Preis aufruft. Nur bei einem Sender darf ich aus verschiedenen Sendungen akkumulieren, bei allen anderen zählt pro Sendung die angefangene Minute. Bei einem Sender sollte ich meine Kalkulation genauer offenlegen, um mit diesen Zahlen eventuell senderintern eine Sonderregelung möglich zu machen. Das ist von der Person, die mein Anliegen bearbeitet, ein wirklich hilfreiches Entgegenkommen. Ich hoffe, dass es ihr gelingt, einen geringeren Preis für mich zu erreichen.
Zum Glück gibt es einige andere Archivinhaber (Institutionen, Kommilitonen von Helke Sander aus der DFFB, mit Helke Sander befreundete Regisseur:innen), die mir ihr Material günstig, zum Teil umsonst, und mit einem großen Rechteumfang zur Verfügung stellen, weil sie den Film unterstützen möchten, wofür ich sehr dankbar bin. Und zum Glück hat Helke Sander viele ihrer Filme selbst produziert, sonst könnte ich meinen Film nur mit einem großen Budget machen, weil ich die Filmausschnitte aus ihren Filmen in den Sendeanstalten lizenzieren müsste.
Ich möchte noch erwähnen, dass die Personen, die in den Lizenzabteilungen arbeiten, alle freundlich und kooperativ sind. Ich hatte den Eindruck, sie kommen mir preislich soweit entgegen, wie es ihnen nur möglich ist.
E. W.:
Wie begründen die öffentlich-rechtlichen Sender, dass überhaupt die Nutzung des Materials aus den Fernseharchiven kostenpflichtig ist? Das Material ist doch in seiner Gesamtheit komplett von den Gebühren finanziert worden.
Richarz:
Ich habe nicht nach einer Begründung gefragt, und es wurde keine genannt, wenn ich nach günstigeren Preisen fragte. Ein Redakteur in einem kleineren ARD-Sender sagte mir, wenn er später einmal meinen Film kaufen würde, könne er mir leider nicht mehr als 3000 Euro für den ganzen Film zahlen, weil er nur ein kleines Budget habe. Derselbe Sender ruft als Listenpreis all media, 10 Jahre, weltweit, 6.500 Euro für die erste angefangene Minute auf. Und als Regisseurin erhalte ich für Filme, die ich für den Sender gemacht habe, kein Wiederholungshonorar.
Auch sehr interessant: Bei den Archivpreisen wird kein Unterschied zwischen Spiel- oder Dokumentarfilm gemacht. Die/der Regisseur:in eines Blockbusters zahlt denselben Preis wie ich.
Die unterschiedlichen Preise sind einerseits gut für mich, weil ich keinem Kartell gegenüberstehe, andererseits nicht nachvollziehbar. Eigentlich müsste doch die Aufbewahrung von Archivmaterial zu etwa den gleichen Preisen führen. Oder will man refinanzieren? Sind die Sendeanstalten im Minus?

Helke Sander und Claudia Richarz auf dem Alter St. Matthäus Friedhof in Berlin.

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