Marlina – Die Mörderin in vier Akten

  • 20. Januar 2018
Marlina – Die Mörderin in vier Akten
TEILEN

Die junge Witwe Marlina wohnt nach dem Tod ihrer Mutter alleine und abgelegen auf dem Land in Indonesien. Plötzlich taucht ein Fremder bei ihr auf und kündigt an, dass gleich noch sechs seiner Freunde kommen werden, um sie zuerst auszurauben und dann zu vergewaltigen. Er fordert sie auf, erst einmal ein Essen für alle zu kochen. Marlina beginnt, eine Hühnersuppe zuzubereiten. Was kann sie tun, um sich zu retten?

Vimeo

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Vimeo.
Mehr erfahren

Video laden

Ein schnörkelloser Plot, tolle Einstellungen, kein unnötiges Gelaber. Dieser Frauen-Western (2017, 95 Min.) der indonesischen Regisseurin Mouly Surya hat ein ruhiges Erzähltempo, viele starke Charaktere und ist sehr spannend.

Der Film ist in dieser Woche in 21 Kinos in Deutschland angelaufen, in Köln läuft er ab dem 22. Februar in der Filmpalette. Empfehlenswert!

 

 

Marlina - die Mörderin in vier Akten

Die schwangere Noki mit Marlina.

 

Aus dem Presseheft des Münchner Verleihs [eksystent distribution]:

Die 1980 in Jakarta geborene Mouly Surya gilt als eine der vielversprechendsten Filmemacherinnen Indonesiens. Nach ihrem Abschluss in Medien und Literatur ging sie nach Australien, um dort Film zu studieren. Ihr erster Langfilm FICTION hatte 2008 Premiere auf dem Internationalen Filmfestival von Busan und gewann international zahlreiche Preise, darunter für die Beste Regie beim Jakarta International Film Festival. Ihr zweiter Langfilm WHAT THEY DON’T TALK ABOUT WHEN THEY TALK ABOUT LOVE (2013) wurde unter anderem im Wettbewerb von Sundance gezeigt und gewann den NETPAC Award in Rotterdam. MARLINA – DIE MÖRDERIN IN VIER AKTEN ist ihr dritter Film und feierte seine umjubelte Weltpremiere bei den Filmfestspielen von Cannes 2017.

 

INTERVIEW MIT REGISSEURIN MOULY SURYA von Vanessa Jerrom

Wie ist die Figur der Marlina entstanden?
Ich war 2014 zusammen mit Garin Nugroho, dem vielleicht wichtigsten Filmemacher Indonesiens, in der Jury der Citra Awards, den indonesischen Oscars. Er meinte, wir sollten zusammen einen Film machen. Er hatte bereits eine Geschichte im Kopf, die er gerne unter Regie einer Frau verfilmen wollte. Diese war beeinflusst von einer Zeit, die er auf der Insel Sumba verbracht hatte. Er erzählte sie mir in Grundzügen und meinte: „Ich habe keine Vorstellung davon, wie du diese Geschichte visuell umsetzen wirst und gerade das finde ich interessant.“ Das hat mich neugierig gemacht, also schickte er mir ein fünfseitiges Treatment mit dem Titel „Die Frau“. Garin gab mir komplette Freiheit darin, die Geschichte zu entwickeln und erklärte mir, wie beeindruckt er von der Präsenz der Frauen auf Sumba war. Ich verstand damals noch nicht, was er damit meinte, also machten wir uns auf den Weg dorthin. Ich denke, Marlina und ihre mysteriöse, sensible und starke Ausstrahlung setzt sich aus dem Bild der Frauen dort zusammen.

Wie war der Castingprozess, vor allem für die Rolle der Marlina?
Mein Produzent und Koautor Rama Adi nannte Marsha Timothys Namen schon bevor das Drehbuch überhaupt fertig war und mir gefiel die Idee. Sie ist schon lange in der Branche und ich hatte zu meiner Zeit als Regieassistentin bereits mit ihr gearbeitet. Als wir uns dann trafen, hatte sie gerade eine Tochter bekommen und war eine ganz andere Marsha als die, die ich zehn Jahre zuvor getroffen hatte. Sie ist schon immer eine sehr intelligente Schauspielerin gewesen, die die Aura einer „tragische Figur“ umweht, die perfekt zu Marlina passt. Am wichtigsten war, dass sie Marlina unbedingt spielen wollte und sie begriff, dass unser Treffen auch gleich ihr Vorsprechen war. Ich bat sie nicht darum, Dialoge zu lesen, sondern mir zu zeigen, wie sehr sie die Rolle wollte. Die Rolle des Markus mit der Schauspiellegende Egi Fedly zu besetzen, mit dem ich bereits bei meinem ersten Film zusammengearbeitet habe, war von Anfang an klar. Yoga Pratama als Franz war eine Empfehlung unseres Casting Directors. Das einzige traditionelle Casting hatten wir mit Dea Panendra. Sie hatte bisher nur kleinere Rollen in Filmen gehabt, ist jedoch in Indonesien bekannt und war bereits in Musicals aufgetreten. Ich mochte sie von Anfang an und führte sie durch die Proben. Am Set übertraf sie dann alle Erwartungen.

Erzähle mehr über die Insel Sumba. Der Drehort ist unglaublich. Wo wurde gedreht?
Sumba ist zwischen den mehreren tausend Inseln Indonesiens eine Besonderheit. Die Insel hat eine außergewöhnliche Landschaft. Der Großteil von Indonesien ist grün, aber Sumba ist sehr trocken, ein bisschen wie Texas. Es gehört zu den ärmsten Provinzen des Landes und ist die Art von Ort, bei dem unsere moderne Gesellschaft nicht glauben kann, dass dort noch immer die Dinge geschehen, wie sie geschehen. Die Menschen tragen Schwerter und Waffen mit sich. Auf dem Land kann eine Gruppe Räuber mitten in der Nacht an deine Tür klopfen und ankündigen, dass sie dich ausrauben werden und es gibt nichts, was du dagegen tun kannst. Du lässt es einfach zu oder sie töten dich. Gleichzeitig ist es ein Ort voll Schönheit, an dem man die Jahrhunderte an Kultur und Glauben im Boden und in den Herzen der Menschen spüren kann.

Religion nimmt in Indonesien eine zentrale Rolle ein, der Film handelt jedoch mehr von Spiritualität und Aberglauben. Ist das typisch für die Insel Sumba?
Ich habe Indonesien immer mehr als ein spirituelles als ein religiöses Land gesehen. Das bezieht sich auch auf unseren Zugang zu Religion. Sie hat schon immer zu unserer Kultur gehört, auch in den größeren Städten. Aber an isolierten Orten wie auf Sumba gibt es Spiritualität in viel reinerer Form. Es ist eine Megalithkultur, mit einem starken Glauben an die Vorfahren. Ein Ort, an dem sich traditioneller Glaube über jegliche Logik hinwegsetzt und die Lebenden mit den Toten leben. Beerdigungen kosten so viel, dass die Körper der verstorbenen Verwandten über Jahre oder sogar Jahrzehnte im Haus behalten werden, während man Geld für ein ordentliches Begräbnis spart.
Der Großteil der Bevölkerung praktiziert die animistische Merapu-Religion. Ich traf an einem der Drehorte auf einen König, der aus den Innereien von Tieren die Zukunft lesen ließ. Aber egal, wonach man fragt, die Antwort lautet immer: „Das haben die Vorfahren getan oder gesagt“. Und dann fragt man nicht mehr weiter.

Marlina ist eine Heldin, die um ihr Überleben, ihre Unabhängigkeit und ihre Integrität kämpft. Wurde sie von den Frauen auf Sumba inspiriert?
Ich habe einige von ihnen getroffen. Novi, die Assistentin eines katholischen Priesters, war sehr einfühlsam. Eine andere, die sehr gebildet war, kam mit ihrem Mann und ihren Kindern. Der Mann jedoch unterbrach sie ständig und wollte derjenige sein, der uns seine Sicht der Dinge vermittelt, während er ihr Baby im Arm hielt. Wir fuhren auch in ein sehr traditionelles Dorf und die Männer dort starrten mich wollüstig an, sodass ich mich sehr unwohl fühlte. Wir trafen auch die Königin des Dorfes, eine respektierte Witwe. Sie sprach oder lächelte nicht viel, aber es umgab sie eine königliche Aura. Dann gab es einen Skandal um eine örtliche Lehrerin namens Marlina, die ein Video von sich aufgenommen hatte, wie sie zu Diskomusik in ihrem Büro tanzte. Es wurde auf YouTube hochgeladen, und sie musste sich vor Reportern rechtfertigen, die sie dafür verurteilten.

Welche Stellung haben Frauen heutzutage in der indonesischen Gesellschaft?
Die indonesische Kultur ist vielfältig. Es gibt auch das Modell, dass die Frau den Unterhalt der Familie sichert. In den großen Städten sind viele Frauen schon sehr unabhängig, aber es hängt immer auch von der einzelnen Person ab, abgesehen von Kultur oder Religion. Es gibt momentan viele starke Frauen in Indonesien – in der Regierung, in der Politik, in der Geschichte. Und auch viele arbeitende Frauen. Die Wirtschaft wächst und Familien benötigen ein doppeltes Einkommen, um zu überleben. Aber an Orten wie Sumba ist der Platz einer Frau in der Küche. Von dort betritt oder verlässt sie auch das Haus.

Der Film beinhaltet mehr Western- als Thrillerelemente. War das von Anfang an geplant?
Ich habe mit der Idee eines Westerns geliebäugelt, seit ich das erste Mal Bilder von Sumba gesehen habe. Ich selbst bin kein großer Fan des Westerngenres. Meine einzige Referenz war Jim Jarmuschs DEAD MAN, den ich in meiner Filmklasse am College gesehen hatte. Ich erinnerte mich an einen schwarzweißen Western mit einer indigenen Figur namens „Nobody“. Ich habe zur Vorbereitung auf MARLINA nicht wirklich Western geschaut, vielmehr hatte ich eine Vorstellung von bestimmten Elementen, die ich im Film einsetzen wollte, um meine eigene Idee von einem Western umzusetzen. Als jemand, der in einer Metropole wie Jakarta geboren und aufgewachsen ist, war das meine Art, mich in die Gesellschaft Sumbas einzufinden. Außerdem wollte ich Garin Nugrohos Geschichte zu meiner eigenen machen.

Wie hast Du mit dem Kameramann gearbeitet?
Ich habe mit Yunus Pasolang, meinem Kameramann, bereits bei meinen vorherigen drei Filmen gearbeitet, daher kennen wir uns sehr gut. Ich sagte ihm gleich zu Beginn, dass es beinahe keine Kamerabewegungen geben würde. Später am Set beschlossen wir dann, überhaupt keine Bewegungen zu drehen, da die geplanten Schwenks unnötig erschienen. Für Ideen zur Lichtsetzung und Farbgebung schauten wir uns das Gemälde „Judith und Holofernes“ von Caravaggio und Gemälde aus dem Barock an.

Wie waren die Dreharbeiten?
MARLINA waren die herausforderndsten Dreharbeiten, die ich bis dato erlebt habe und auch der erste Dreh außerhalb meiner Heimatstadt Jakarta. Es war auch das erste Mal, dass ich mit visuellen Effekten gearbeitet habe und ganz grundsätzlich ein viel größeres Projekt mit größeren Erwartungen. Mit An- und Abreise nach Sumba hatten wir einen Monat Zeit, davon 17 Drehtage. Allerdings hatten wir drei Monate Probe- und Vorbereitungszeit.

Die Musik ist so etwas wie das Herzstück des Films. Wer hat sie komponiert und wie war die Zusammenarbeit?
Wie mit meinem Kameramann hatte ich auch mit Zeke Khaseli und Yudhi Arfani schon bei meinen vorherigen Filmen zusammengearbeitet. Die Musik wurde von ihnen speziell für den Film komponiert. Ich hatte um einen Soundtrack gebeten, in dem sich das Westerngenre wiederfindet. Aber ich wollte von Anfang an nicht, dass die Musik das wiedergibt, was auf der Leinwand zu sehen ist. Die Musik sollte primär die Stimmung des Films gestalten. Zeke and Yudhi komponierten ein paar Beispiele, aus denen Rama Adi, mein Produzent, und ich gemeinsam auswählten. Wir wussten bereits um ihr Potential und puschten sie, um sich selbst noch zu übertreffen.

Das ist dein dritter Film. War die Arbeit im französischen Atelier der Cinéfondation wichtig für das Projekt?
Ja, das war ein wichtiger Schritt. Wir hatten Treffen mit vielen französischen und europäischen Produzenten, die uns ihre Meinung zum Film vermittelten. Einer von ihnen brachte mir die Verbindung zu Judith und der Enthauptung des Holofernes nahe. Dies ist nur eine der visuellen Referenzen im Film. Es bringt immer viel zu hören, was andere von dem Projekt halten. Es ist wichtig, eine distanzierte Meinung zu erhalten aus der Perspektive von jemandem, der nicht mit den Dingen in meinem Land vertraut ist.

Gibt es viele Regisseurinnen in Indonesien?
Es gibt einige Regisseurinnen mit durchaus erfolgreichen Karrieren. In den letzten Jahren gab es aber nicht mehr als zwei neue, junge, aufstrebende Regisseurinnen. Vor ca. zehn Jahren gab es einen Boom, der jetzt wieder vorbei ist. Ich habe an der Filmschule unterrichtet und das Hauptproblem von Regisseurinnen ist nicht, dass die Industrie sexistisch ist – wobei das manchmal natürlich auch der Fall ist – sondern dass es vielen Frauen an Selbstvertrauen mangelt. In Indonesien emanzipiert sich eine Frau meist erst an ihrem Hochzeitstag von ihren Eltern. An einem Filmset zu stehen und allen Menschen, den meisten davon älteren Männern, zu sagen, was sie tun sollen, ist daher äußerst ungewohnt für sie. Das ist zumindest mein Eindruck.

Das indonesische Kino ist vor allem für seine Action- und Genrefilme wie THE RAID bekannt. Wie ist es momentan um das indonesische Kino bestellt?
Die Filmindustrie hier ist noch sehr jung, genauso wie das Land. Es gibt nur eine begrenzte Anzahl an Menschen in der Branche. Die erfolgreichsten Filme in Indonesien sind eher leichter Natur und meist Genrefilme wie Komödien, Horror- und Liebesfilme. Die Liebesgeschichten nehmen dabei oft eine äußerst religiöse Sicht ein. Die erfolgreichsten Filme sind meistens durchdrungen von indonesischen Moralvorstellungen und Ansichten. Da wir keine VerleiherInnen in Indonesien haben, müssen sich FilmemacherInnen direkt an die Kinos wenden. Dadurch sind quasi alle Produktionen Independent-Produktionen. Arthousefilme, die es in die großen Kinos schaffen, in denen gleichzeitig ein großer Hollywoodfilm gezeigt wird, haben kaum oder gar keinen Erfolg. Wir haben immer noch wenige Kinos, auf keinen Fall genug für die 250 Millionen Einwohner unseres Landes. Aber die Industrie wächst. Es geht eine tolle Energie von den jungen FilmemacherInnen Indonesiens aus. Junge Talente kommen nun auch aus Städten abseits von Jakarta und bringen ihre Stimmen ein. Es ist aufregend zu beobachten, dass etwas Neues entsteht.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Verwandte Beiträge

JEANNE D’ARC MASRIYA
  • 30. August 2017

JEANNE D’ARC MASRIYA

LaDOC und 15. Afrika Film Festival Köln präsentieren den Dokumentarfilm JEANNE D’ARC MASRIYA (EGYPTIAN JEANNE D’ARC). Die Regisseurin Iman Kamel fragt nach dem Stand der Emanzipation von Frauen im postrevolutionären Ägypten. Die…